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Mein Verein: Wie Sülldorfer Musiker Deutsche Meister wurden

Aus der Börde berichtet Falk Heidel

 

Die Schalmei ist ein Musikinstrument mit ganz besonderem Klang. Die blecherne Martinstrompete besteht zumeist aus acht Röhren, die alle unterschiedliche Töne erzeugen können. Mario Hoffmann aus Welsleben gehört zu den Musikern, die diesem Instrument ganz unterschiedliche Melodien entlocken können. Hoffmann ist Vereinschef der Schalmeienkapelle Sülldorf. Die 37 Musiker aus der Börde spielen ihre Lieder für alle Fälle: Festumzüge, Geburtstage, Jubiläen, Hochzeiten, Platzkonzerte ... 

Die Interpreten dieser Kapelle verknüpfen unsere regionale Tradition mit dem Zeitgeist der Moderne. „Während wir zu DDR-Zeiten hauptsächlich die alten Arbeitermärsche spielten, möchten die Leute heutzutage lieber Schlager hören.“ Darauf hat sich die Kapelle eingestellt - bis hin zu Partybrüllern wie „Cordula Grün“. Marios Vater Günter Hoffmann war erster Vorsitzender nach der Gründung am 1. März 1964. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten Harald Voigt, Hilbert Hartmann, Norbert Subschinsky, Karl-Heinz Winkler, Brigitte Pichler und Brigitte Brzyk.

Hoffmann-Senior war seinerzeit Mitglied der Welslebener Schalmeien. Sein Schwiegervater und Sülldorfer Bürgermeister Walter Musche sagte eines tages zu ihm: „Warum gründest du nicht eine Kapelle in Sülldorf.“ So sollte es auch geschehen: Hoffmann gründete vor 56 Jahren zuerst das Orchester und heiratet dann seine Bärbel in Sülldorf. Die Orchestermusik war sein Leben. Das letzte Konzert erlebte er vor seinem Tod 2011 zum 70. Geburtstag seiner Bärbel. Der Ehrenbürger der Gemeinde Sülzetal hat sich mit sehr viel Herzblut auch um den musikalischen Nachwuchs gekümmert: „Von dieser Tradition profitieren wir noch heute, wir haben zum Glück keinen Mangel an jungen Musikern“, sagt Mario Hoffmann.

Als Gesicht und kreativer Kopf der Kapelle hat Günter Hoffmann alle Höhepunkte der Vereinsgeschichte mitgestaltet. Ganz oben auf der Liste steht der Titel „Deutscher Meister“ in der Kategorie B-Schalmeien aus dem Jahr 2010 in Königslutter. Kurios an dieser Geschichte ist die Tatsache, dass die Sülldorfer Musiker noch immer amtierende Deutsche Meister sind: „Nach unserem Erfolg gab es nur noch eine Meisterschaft, die aber wegen Unregelmäßigkeiten nicht gewertet wurde“, erklärt Mario Hoffmann.

Schon vor der politischen Wende wurde die Kapelle mit unzähligen Ehrungen ausgezeichnet. Unter anderem mit der Artur-Becker-Medaille (1967) oder der Medaille „Ausgezeichnetes Volkskunstkollektiv der DDR“ (1975). 

Aus dieser Zeit stammen auch die ersten Takte von Mario Hoffmann: „Ich habe auf einer kleinen Trommel begonnen und mich mit den Jahren bis zur Schalmeie weiterentwickelt.“ Als Steppke war Hoffmann-Junior bei den Auftritten der Kapelle immer mit von der Partie: „Natürlich hat mich mein Vater musikalisch geprägt.“

Mit ihren jetzt 78 Jahren ist Mutter Bärbel immernoch mittendrin: „Jahrelang hat sie unter anderem die Sachen gewaschen und die Instrumente behütet.“ Das Vereins-Ehrenmitglied nennen die jungen Musiker liebevoll „Oma Bärbel“. Mario Hoffmann: „Die Kapelle und ihre Mitglieder sind auch ihr Leben, obwohl sie kein Instrument spielt.“ Um die Zukunft muss sie sich nicht sorgen: Mit Norman Sieber, Kai Helbich und Chris Hoffmann hat sich die nächste Familien-Generation bereits in Stellung gebracht. Norman Sieber ist seit 1992 dabei und mittlerweile stellvertretender Vereinsvorsitzender.

Die Schalmei wurde um das Jahr 1900 vom Erfinder des so genannten Martinshorns, Max. Martin, entwickelt. In den Kapellen gibt es unterschiedlich gestimmte Schalmeien. Die sogenannte "Sopran-Schalmei" deckt die hohen Töne ab, währen die "Bariton-Schalmei" sehr tiefe Töne spielt. Daher können die Schalmeienkappellen mehrere Musikrichtungen von Volksmusik bis Rock anbieten.

Aktuell absolvieren die Sülldorfer Kapelle rund 50 Auftritte im Jahr - wenn ihnen nicht grad Corona einen Strich durch die Rechnung macht: „Die Krise reißt auch ein gewaltiges Loch in unsere Vereinskasse“, sagt Mario Hoffmann. „In diesem Jahr sind schon mehr als 20 Auftritte abgesagt worden.“ Unter anderem benötigen die Musiker ihre Vereinskasse für das jährliche Trainingslager in Tarthun. Im Normalfall spielt das Orchester dort zwei, drei neue Titel ein. Ansonsten treffen sich die Mitglieder einmal pro Woche zum Musizieren im Übungsraum auf einem alten Obstbaugelände bei Osterweddingen.

Dort kümmert sich die musikalische Leiterin Kerstin Kniebel um Inhalte und Ausbildung. Sie war 2002 aus klein Mühlingen nach Sülldorf gewechselt. Die wenigsten Musiker spielen nach Noten, sondern nach Zahlen beziehungsweise Grifftabellen. Ihr Vorgänger war Peter Gerstell. Der Ex-Welslebener hatte Mitte der 90er Jahre wieder mehr Pep in das Orchester gebracht. Unter anderem hatte er bekannte Songs für Schalmeien umgeschrieben.


Trotz wechselhafter Geschichte - geblieben ist der Zusammenhalt unter den Musikern. Alle fünf Jahre wird eine große Jubiläumsfete gefeiert. Zuletzt 2019 zum 55-jährigen Bestehen der Kapelle mit befreundeten Orchestern aus Groß Ammensleben, Ditfurt, Klein Mühlingen, Ilsenburg, Lebendorf, Zickeritz und Halle. Die Faszination seines Hobbys beschreibt Mario Hoffmann so: „Es ist überraschend, welche Klang-Vielfalt auf einer Schalmei gespielt werden kann.“ Zu den Anekdoten aus den vergangenen Jahren gehört auch ein Auftritt in Beckendorf bei Oschersleben: „Wir haben dort zum Schützenfest aufgespielt und die Leute haben vor Begeisterung auf den Tischen getanzt.“

Im Gegensatz zu unserer Region ist die Schalmei in den alten Bundesländern wenig bekannt. Eine Ausnahme war das Jahr 1983. Nach Udo Lindenbergs „Sonderzug nach Pankow“ schenkte der Musiker dem DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker eine Lederjacke, weil er durch den Arbeiter- und Bauernstaat touren wollte. Honecker revanchierte sich mit einer Schalmei und ließ ihn im Palast der Republik auftreten.

Sein Geschenk war nicht ganz billig: Wer eine Schalmei anschaffen möchte muss je nach Ausstattung und Qualität zwischen 1200 und 3000 Euro auf den Tisch legen.

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