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Mein Verein: RV Wanzleben und die Erinnerungen unterm Kastanienbaum

Aus Wanzleben berichtet Falk Heidel

 

Annette Müller sitzt auf der Bank unterm Kastanienbaum und beobachtet das nachmittägliche Treiben auf dem Paddock des Reiterhofs am Rande von Wanzleben in der Börde. Hier trollen sich sechs Rappen aus eigener Zucht und wälzen sich im warmen Sand. Seit vier Jahren schmeißen ihre Töchter Anja und Kathrin den Laden rund um den Reitsport mit 50 Pferden. Reitschule, Pension, Zucht und Beritt bilden den Alltag der Familie auf einem Hof mit Seele und Vergangenheit. „Ganz früher war das hier ein Schafstall, später Zwiebellager der LPG“, erzählt Annette Müller kurz vor ihrem 70. Geburtstag.

Alexa Müller mit Reitpony Rapunzel. Foto: Alpha-Report
Alexa Müller mit Reitpony Rapunzel. Foto: Alpha-Report

Mit ihrem Mann Gerhard hatte sie das Gelände nach der Wende von der LPG übernommen: „Seit dieser Zeit sind wir dabei, das Areal zu sanieren und modernisieren.“ Weil viele Dinge in Eigenleistung passieren, wird das vermutlich nie aufhören. Größtes Projekt war der Bau der großen Reithalle. Mit dem Wissen von Bauingenieur Gerhard Müller und der Kraft von vielen Händen ist nach fast zehnjähriger Bauzeit die große Halle 2007 eingeweiht worden. 

Auf der Bank unterm Kastanienbaum sieht Annette Müller ihrer Enkeltochter Alexa zu, wie sie ihr Reitpony Rapunzel zum Training in die große Reithalle führt: „Sie ist sehr talentiert, aber noch ein wenig verspielt“, sagt die Oma mit fachlichem Blick auf das Talent der zehnjährigen Tochter von Anja Müller. Alexa sagt: „Ich fühle mich in der Dressur genauso wohl wie beim Springreiten, daran wird sich in den nächsten Jahren auch nichts ändern.“ Ihr Zwillingsbruder Leighton ist hin und wieder auf dem Pferderücken unterwegs. Allerdings ist der Fußball seine Priorität.

Eng vernetzt mit dem Müller-Reiterhof ist der Reitverein Wanzleben. Annette Müller ist seit 35 Jahren die Vorsitzende einer Vereinigung mit knapp 80 Mitgliedern und zahlenmäßig sehr großer Jugendabteilung. Zum Vereinsleben gehören außer dem jährlichen Turnier eine ganze Reihe von Höhepunkten, die es in dieser Form nirgendwo anders gibt. Das Wanzleber Turnier für Dressur und Springreiten steigt jedes Jahr Ende August. „Wegen der Einschulung haben wir es in diesem Jahr auf das erste Septemberwochenende verschoben“, erklärt Anja Müller. Auch Alexas kleiner Bruder Joe freut sich auf eine große Schultüte. Die Tradition der Wanzleber Turniere geht auf das Jahr 1972 zurück. Zwei Jahre zuvor ist die neue Reitanlage zwischen Blumenberger Chaussee und Fußballplatz entstanden. In der Vereins-Chronik heißt es dazu: Für den Reitplatzbau musste eine alte Apfelplantage gerodet werden. Organisiert vom neuen Vereinsmitglied Klaus Ochsendorf und Unterstützung der LPG Bottmersdorf entstand die Anlage in mehreren Wochenend-Einsätzen.

Gegründet wurde der Verein 1954 als Sektion Reitsport. Lothar Domenik, Erhard Märtens, Fritz Wippel und Paul Fohr waren die Pioniere der ersten Stunde. Letzterer ist der erste Vorsitzende. Unter anderem waren es die Gärtnerei Meyer und einige Landwirte, die seinerzeit die ersten Pferde zur Verfügung stellten.


Annette Müller ist langjährige Vereinsvorsitzende.
Annette Müller ist langjährige Vereinsvorsitzende.

66 Jahre später blickt Annette Müller auf eine wechselhafte Vereinsgeschichte zurück: „Im vergangen Jahr haben wir das 65-jährige Bestehen ganz groß gefeiert.“ Dazu gehörte ein großer Reiterball mit 150 Gästen. Innerhalb dieser Zeit ist der Reitplatz „gewandert“. Zunächst auf den Standort der heutigen Gymnasium-Sporthalle. Mit dem ersten Turnier auf dem jetzigen Platz direkt am Reiterhof startete der Verein 1995 in die neue Zeit. „Hier haben wir perfekte Bedingungen, können neben dem Springplatz zwei kleine oder ein großes Dressur-Viereck aufbauen“, erzählt Kathrin Müller. Überhaupt ist Dressur die dominierende Disziplin der Vereinsmitglieder. Natürlich gehören auch erfolgreiche Springreiter dazu. Zum Beispiel Anna Marie Kobylinski, die auf Turnieren bis zur M-Klasse unterwegs ist.

Kreativität und Organisationstalent zählen zu den Eigenschaften der Vereinsspitze um Annette Müller. Sie sagt: „Bei Veranstaltungen und Einsätzen gibt es einen Stamm von etwa 20 Mitgliedern, auf die wir uns jederzeit verlassen können.“ Mit dem Müllerschen Einfallsreichtung sind in den vergangenen Jahren mehrere Vereins-Events entstanden. Unter anderem die große Pferde-Weihnachts-Show, die der Verein seit der Reithallen-Eröffnung 2007 veranstaltet. Annette Müller: „Jedes Jahr gibt es ein neues Motto.“ Im vergangenen Jahr war es eine Zeitreise durch den Märchenwald.“ Mit einer Tombola sammeln die Veranstalter Geld für die Mitteldeutsche Kinderkrebs-Stiftung. Die Vereinschefin war viele Jahre lang auch Trainerin der Wanzlebener Voltigierer, die zu DDR-Zeiten bei Wettkämpfen im Bezirksmaßstab erfolgreich waren.

Jedes Jahr im Sommer finden auf der Wanzleber Reitanlage die Fohlenschau des Pferdezuchtvereins "Südlicher Bördekreis und Umgebung"  und ein Vierkampfturnier des Landesverbandes der Reit-und Fahrvereine für junge Sportler statt. Die Teilnehmer messen sich hier in Dressur, Springreiten sowie Schwimmen und Laufen. Was sie an solchen Wettkämpfen mag, erklärt Annette Müller so: „Bei diesen Veranstaltungen herrscht immer eine ganz besondere Atmosphäre. Die Sportler treten als echte Teams auf, der Zusammenhalt ist größer als bei herkömmlichen Reitturnieren, wo die Sportler meist als Alleinkämpfer am Start sind.“

Zum Vereinsprogramm gehört auch die jährliche Reiter-Rallye. Hier sind die Sportler mit ihren Pferden in der Natur unterwegs und müssen aktuelle Fragen aus den Bereichen Sport, Politik und Natur beantworten. 

Auf der Bank unterm Kastanienbaum hat Annette Müller schon die Konzepte für die nächsten Höhepunkte im Kopf: „Doch wir müssen abwarten, welche Veranstaltungen in diesem Jahr wegen Corona noch stattfinden dürfen.“

 

 


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