„Ich bin ein neugieriger Mensch“, antwortet Simone Hinze (49) auf die Frage, wie sie zum Bogenschießen gekommen ist. Vor drei Jahren hat die Genthinerin zum ersten Mal einen Bogen in die Hand genommen - 2018 gehört sie zu den besten Schützen in Sachsen-Anhalt. Aber der Reihe nach:
Bis zu ihrem 40 Lebensjahr spielt der Sport keine Rolle in ihrem Leben: „In meinen Schul- und Studienzeiten war ich ehrgeizig nur im Organisieren von Sportbefreiungen.“ Über ihre Kinder kommt die zweifache Mutter im Genthiner Black Belt Center von Trainer Frank Müller zur asiatischen Kampfkunst Taekwondo. Schnell wird klar: Die Steuerfachwirtin bringt Talent und Fleiß auf die Matte. Sie lernt die manchmal komplizierten Bewegungsabläufe der unterschiedlichen Taekwondo-Formen und meistert fünf Prüfungen vom weißen Anfänger-Gürtel bis zum grün-blauen Exemplar.
Mit dem Umzug nach Magdeburg endet Simone Hinzes Taekwondo-Karriere nach dreieinhalb Jahren. Ein neuer Sport musste als Kontrast zum Bürojob her. Die Entscheidung fällt auf Langlauf. Und auch hier kommt sie es schnell auf Halbmarathon-Niveau. „Doch nur laufen, war mir zu einseitig.“ So landet sie vor zwei Jahren bei den Bogenschützen des PSV Magdeburg. Lebensgefährte Christian Zollmann ist dort Übungsleiter. Die ersten Handgriffe gelingen ihr mit einem geliehenen Bogen und bunten Pfeilen aus dem Anfänger-Köcher. Obwohl: „Ein Jahr zuvor sagte Christian, komm doch mal mit zum Training, aber ich fand das richtig doof.“ Umso rasanter verläuft ihre Entwicklung im zweiten Anlauf: Zwei Jahre vom Neuling zur deutschen Meisterin. Und das in einer Sportart, die sie nur als Ausgleich zum Laufsport betreiben wollte.
Irgendwann wird ihr klar: „Bogenschießen ist kein Sport, den du nach einem halben Jahr beherrschst. Vielmehr ist es ein Prozess des ewigen Lernens und Perfektionierens.“ Nach den ersten Trainingsmonaten bekommt sie zum Geburtstag ihren ersten eigenen Bogen - ein filigranes, gut drei Kilo schweres Sportgerät. Doch die ersten Übungseinheiten damit sind grauenhaft: „Mir sind die Pfeile runtergefallen, nichts funktionierte, ich hatte Tränen in den Augen.“ Der Ehrgeiz steigt, eine Trainingswoche besteht aus vier bis fünf Tagen. Nachdem sie die Krise meistert, stellen sich Erfolge ein: „Gleich beim ersten Wettkampf habe ich einen dritten Platz belegt.“ Danach trainiert sie einen Sommer lang noch intensiver bis zum ersten Höhepunkt: Platz zwei im Januar 2018 bei den Landesmeisterschaften in Wernigerode in ihrer Altersklasse. Und es geht weiter bergauf. Sie schafft den Sprung in die Bundesliga-Mannschaft des PSV Magdeburg, die aktuell unter zehn Teams im Mittelfeld rangiert.
Als Glücksfall bezeichnet Simone Hinze ein Gespräch mit Teamkollegin und deutscher Meisterin Andrea Thoms in den ersten Trainingswochen: „Sie fragte mich, wo willst du hin, was willst du erreichen, bevor ich monatelang von ihrem Coaching profitierte.“
Bewegte Bilder
Simones Medaillensammeln geht weiter bei den Freiluft-Landesmeisterschaften 2018 in Dessau: Sieg im Einzel und mit der Mannschaft. Weiter geht es mit Platz zwei bei den Ostdeutschen
Meisterschaften in Berlin. Im August folgt ein dritter Platz bei den Deutschen Meisterschaften der Bogenklasse „Olympisch Recurve“ in Schefflen und ein siebter Platz bei den Deutschen
Meisterschaften der Damen in Bellingen bei Tangerhütte. Das Besondere hier: Simone Hinze gehört zum Team des PSV, das die Mannschafts-Meisterschaft gewinnt. Zu all den Erfolgen sagt sie: „Es
kommt mir nicht auf die Anzahl der Medaillen an, sondern auf die Entwicklung, die dahinter steckt.“
Bei einer Meisterschaft schicken die Damen-Schützen des Deutschen Bogensport Verbandes (DBSV) in der Regel 144 Pfeile auf die Reise in Richtung Zielauflage mit Ringwertung. 36 Pfeile auf 70 Meter, dann 36 Pfeile auf 60 Meter, dann 50 und 30 Meter. Ideal ist die goldene 10 in der Mitte. Die Weiten variieren nach Alter beziehungsweise Geschlecht. Ideal-Ringzahl ist also 1440. Simone Hinzes Rekord liegt bei 1139 Rinden. Macht im Schnitt acht Ringe pro Schuss: „Im nächsten Jahr möchte ich die 1200er Marke überbieten.“
Bemerkenswert: Sie hält fünf von acht möglichen Landesrekorden ihrer Altersklasse Ü40 in diversen Disziplinen und Distanzen: „Die restlichen Drei will ich mir auch noch holen.“
Die Frage, ob man beim Bogenschießen tatsächlich Kalorien verbrennt, beantwortet Simone Hinze so: „Pro Pfeil benötige ich eine Zugkraft von 17 Kilogramm. Wenn ich pro Trainingseinheit 100 Pfeile schieße, habe ich 1,7 Tonnen bewegt.“ Aber Kraft ist nicht das Entscheidende, Übungsleiter Christian Zollmann sagt: „Bogenschießen ist das Streben nach Perfektion und gleichzeitig die Kunst, an den eigenen Fehlern zu arbeiten.“ Welche Charaktereigenschaften sind besonders wichtig? „Geduld und Ausdauer“, sagt Simone Hinze. Und: „Ich stehe noch ganz am Anfang meiner Entwicklung.“ Begonnen hatte sie das Bogenschießen als Ausgleich zum Laufsport - heute ist es umgekehrt. Aber die Neugier ist geblieben.
PSV Magdeburg
Lea Collin (17) gehört zu den 120 Bogenschützen des PSV Magdeburg. Das Kürzel steht für Polizei Sportverein. Alexander Thiele steht an der Spitze der größten Abteilung des Sportvereins. In verschiedenen Zusammenstellungen wird in der neuen, kleinen Halle am Vereinsgelände trainiert. Lea betreibt ihren Sport seit drei Jahren: „Als Kind habe ich das Bogenschießen auf einem Mittelaltermarkt ausprobiert. Seit dem stand für mich fest, das will ich machen.“ Aktuell steht das Abitur an erster Stelle. „Doch im kommenden Jahr möchte ich an Meisterschaften teilnehmen.“ Einen Wettkampf hatte sie 2018 bereits absolviert: Platz zwei in ihrer Altersklasse bei den Landesmeisterschaften in Dessau. Übungsleiter Christian Zollmann sagt über Lea: „Sie hat sich in der Zeit hier von einem schüchternen Mäuschen zur selbstbewussten Sportlerin entwickelt.“ Zollmann ist einer von 15 Trainern des PSV. Der Verein veranstaltet auch Anfängerkurse beziehungsweise Bogenschießen als einmaliges Event für Gruppen. Mit Bogenschießen ist es für Lea noch nicht getan: Ihr Bewegungstalent stellt sie auch beim Breakdance unter Beweis.
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